Freedive am Achensee
Beim Apnoetauchen, auch als Freitauchen oder Freediving bekannt, tauchen Menschen mit nur einem Atemzug ganz ohne Sauerstoffflasche in die Tiefe. Wie ist das, meterweit in die Tiefe zu tauchen? Wie sieht es da unten aus? Und was passiert, wenn einem die Luft ausgeht? Ein Gespräch mit Apnoetauchlehrer Kai Kipfmüller aus Innsbruck.
LEBENSART: Herr Kipfmüller, Sie tauchen regelmäßig bis zu 70 Meter unter Wasser. Was fasziniert Sie so sehr an der Tiefe?
KAI KIPFMÜLLER: Wenn ich in die Tiefe tauche, fühle ich mich schwerelos, fast als würde ich schweben. Ich bewege mich in einem scheinbar unendlich großen Raum, dessen Anfang und Ende ich nicht sehe. Ich bin mittendrin, ganz im Hier und Jetzt. Um mich auf einen Tauchgang vorzubereiten, muss ich mich völlig entspannen, ganz bei mir sein. Dadurch lässt mich die Tiefe auch zur Ruhe kommen. Sie hat mich Gelassenheit und Achtsamkeit gelehrt.
Apnoetauchen hat also auch viel mit mentaler Vorbereitung zu tun?
Ich würde sogar sagen, Apnoetauchen ist zu 80 Prozent ein mentaler Sport, das Fitnesslevel ist beim Freizeittauchen nebensächlich. Meine Gedankenwelt kann ausschlaggebend dafür sein, ob ich einen Tauchgang sauber ausführe und meine Zieltiefe erreiche. Wenn ich auf dem Weg nach unten Zweifel daran habe, ob mir die Luft reicht, werden diese Zweifel mit jedem Meter nur größer. Sie bauen sich zu einem Monster der Tiefe auf und führen dazu, dass der Körper Stresshormone ausschüttet und viel mehr Sauerstoff verbraucht.
Wie schaffen es Freediver, sich vor einem Tauchgang zu entspannen?
Bevor wir in die Tiefe tauchen, liegen wir bis zu acht Minuten regungslos auf der Wasseroberfläche. Dort wenden wir eine spezielle Atemtechnik an, bei der wir flach ein- und ausatmen, gehen in Gedanken jeden Muskel im Körper durch und entspannen uns nach und nach. Wir lösen uns komplett von allem um uns herum. Dann nehmen wir einen letzten Atemzug, dafür lassen wir uns bis zu 30 Sekunden Zeit. Und dann geht es runter.
Prinzipiell kann also jede Person das Apnoetauchen ausprobieren?
Apnoetauchen ist nicht die Extremsportart, für die sie oft fälschlicherweise gehalten wird. Das Freitauchen ist eine sichere Freizeitsportart, die jeder und jede lernen kann – aber bitte nur unter Anleitung eines zertifizierten Trainers oder einer zertifizierten Trainerin. Ich gebe seit 2020 Kurse als Apnoetauchlehrer, im Einsteigerkurs sprechen wir allein zwei bis drei Stunden nur über Atemtechniken und die mentalen Aspekte des Tauchens. Anschließend wenden wir das Gelernte im Schwimmbad an. Erst dann fahren wir zu einem Bergsee in der Nähe von Innsbruck, um das erste Mal im Freien tief zu tauchen. Für Trainingszwecke wähle ich gerne den Achensee bei Jenbach.
Wie tief dürfen Teilnehmende beim ersten Mal im Bergsee tauchen?
Maximal zehn Meter, das entspricht ungefähr 20 Sekunden unter Wasser. Dabei haben sie Neoprenanzüge an, einen Bleigurt, eine Tauchermaske, einen Schnorchel und Neoprensocken. Wir schwimmen vom Ufer des Sees zu einer Boje auf dem Wasser, von der ein Seil in die Tiefe führt. An dieses Seil hängen sich die Teilnehmenden mit einem Verbindungskabel an. Auf zehn Metern Tiefe ist eine Plastikkugel befestigt, damit alle wissen: Jetzt ist es Zeit aufzutauchen.
Wie tief sind Sie schon getaucht?
Mit Gewicht an einem Gürtel bin ich 71 Meter tief getaucht. Für diese Tiefe bin ich 2,27 Minuten unter Wasser. Es geht aber gar nicht so sehr um die maximale Tiefe, sondern eher um den Weg nach unten und das Gefühl dabei.
Wie sieht die Welt da unten aus?
Jede Unterwasserwelt sieht anders aus und die Umgebung verändert sich, je tiefer ich tauche. Der Blindsee in Tirol ist einer meiner Lieblingsseen. Vor vielen Jahren hat eine Lawine ein ganzes Waldstück unter Wasser gerissen. Jetzt stecken die Bäume wie ein überdimensionales Mikadospiel im Boden und bilden einen Unterwasserwald. Es wimmelt dort nur so vor Fischen, bei jedem Tauchgang entdecke ich etwas Neues. Wenn es stark regnet, werden jede Menge Sedimente von den Bergen in den See gespült, die dann wie eine Wolke unter Wasser hängen. Wenn ich da durchtauche, ist meine Sicht erst verschleiert, dann wird das Wasser wieder glasklar. Das ist fast schon magisch. Und ganz tief unten, da ist es dann einfach schwarz.
Und im Meer?
Im Meer ist man umgeben von unendlichem Blau. Da kann ich in die Ferne schauen und weiß nicht, ob ich gerade fünf, zehn oder 20 Meter weit sehen kann. Das finde ich faszinierend. Und dann hängt es wieder davon ab, wo ich tauche. Ich habe noch nie so viele Farben unter Wasser gesehen wie im Roten Meer in Ägypten. Auf den Philippinen, unweit der Insel Panglau, teile ich mir die Tiefe mit großen Fischen, auch Walhaie sind schon an mit vorbeigeschwommen.
Wo tauchen Sie lieber: im Meer oder in Österreich im Bergsee?
Beides hat seinen Reiz. Im Meer ist das Wasser, wo ich tauchen gehe, teilweise warm wie in einer Badewanne, das ist sehr angenehm. Im Bergsee hingegen ist es kalt, da muss ich einen Neoprenanzug tragen. Abgesehen davon sind die Konditionen im See aber unschlagbar, es gibt keine Strömung und keinen Wellengang. Zwischen den Tauchgängen verbringen wir Freediver viel Zeit auf dem Wasser, um uns zu regenerieren. Bei einer Session von zwei Stunden taucht man maximal 30 Minuten. Wenn ich dann auf dem ruhigen Wasser im See liege und sich um mich herum das Bergpanorama ausbreitet, ist das ein ganz besonderes Naturerlebnis. Einem Bergsee habe ich es auch zu verdanken, dass ich überhaupt mit dem Freediving angefangen habe.
Wie ist es dazu gekommen?
2008 habe ich den Blindsee entdeckt und war fasziniert davon, wie glasklar sein Wasser ist. Beim nächsten Besuch bin ich mit einem Schnorchelset wiedergekommen. Ich wollte sehen, wie der See unter Wasser aussieht. Irgendwann hat mir das Schnorcheln nicht mehr gereicht, ich wollte länger tauchen. So bin ich nach einer kurzen Recherche auf das Apnoetauchen gestoßen und in Innsbruck dem Verein beigetreten. Und seitdem hat mich das Freitauchen nicht mehr losgelassen, jedes Jahr tauche ich ein Stück tiefer.
Bekommen Sie es in der Tiefe nicht auch manchmal mit der Angst zu tun?
Wenn ich in der Tiefe Angst oder Stress empfinden würde, ist schon im Vorhinein viel schiefgelaufen. Durch die Entspannungsübungen an der Wasseroberfläche sollte das nicht passieren. Wichtig ist, auf sich selbst zu hören, die eigenen Grenzen zu kennen und wenn man sich nicht gut fühlt, gar nicht erst zu tauchen. Sonst kann es gefährlich werden.
Waren Sie beim Freediving schon einmal in einer brenzligen Situation?
Bei einem Tauchgang auf Bali bin ich im Wasser ohnmächtig geworden. Eben weil ich nicht auf mich gehört habe. Mir ging es an diesem Tag körperlich nicht gut, ich habe schon auf dem Wasser bemerkt, dass ich lieber nicht tauchen sollte, und es dann doch getan. Wir sind beim Freediving aber immer mindestens zu zweit im Wasser. Mein Tauchpartner hat mich rausgezogen und dann bin ich wieder zu mir gekommen.
Die Tiefe ist also manchmal auch der Gegner, der einen in die Knie zwingt?
Es geht nicht darum, die Tiefe zu bezwingen. Vielmehr liegt das Ziel darin, eine tiefe Ruhe in sich selbst zu finden. Auf Knopfdruck die Gedankenwelt sortieren zu können, Ruhe in den Kopf zu bringen. Viele Menschen nehmen sich dafür nicht mehr die Zeit. Wenn ich entspannt bin, ganz im Hier und Jetzt, dann kann ich selbst an Land jederzeit in eine gewisse Tiefe abtauchen.
Das Interview führte Katrin Brahner.
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zuletzt geändert am 13.02.2025