Götterwege: unterwegs auf spirituellen Pfaden
Die jahrtausendealte Kultur des Pilgerns hat sich entstaubt und zum sportlichen Weitwandern mit meditativem Charakter entwickelt.
Der lauten Lebenswelt entsteigen, in Bewegung kommen, körperlich wie geistig: „Kontemplativ“ ist das Zauberwort heutiger Tage, eine Beschaulichkeit, die sich am ehesten beim Zu-Fuß-Gehen in der Natur finden lässt. Vielleicht liegen deshalb Pilgerwege und spirituell aufgeladene Weitwanderrouten im Ranking um die coolsten „Hatscher“ ganz oben. Wobei sich das mundartliche „Hatscher“ nicht von der „Hadsch“, der muslimischen Wallfahrt nach Mekka, ableitet, wie fälschlich oft angenommen wird.
Der populärste aller Pilgerwege ist sicherlich der Jakobsweg. Seit die berühmte Route nach Santiago de Compostella 1987 vom Europarat zum ersten europäischen Kulturweg erklärt worden ist, hat sich die Zahl der Pilger von 3.000 pro Jahr auf mittlerweile 262.000 vervielfacht. Mit beschaulichem Unterwegssein hat dieser Massenansturm nur mehr wenig zu tun. Aber es gibt sie noch, die Geheimtipps unter den Wander- und Pilgerwegen, die Routen, auf denen stille Einkehr und Sinnfindung ebenso möglich sind, wie grandiose Naturerlebnisse.
Pilger- und Weitwanderwege versprechen Ruhe in Zeiten der Hektik
Einer dieser Pfade ist der Weg des Buches, den die Evangelische Kirche A.B. in Österreich initiiert hat. Beginnend in Ortenberg an der Donau, nördlich von Schärding, führt die Route über die Kärntner Nockberge bis zur slowenisch-italienischen Grenze nach Arnoldstein und verbindet Natur, Spiritualität und Geschichte.
Wer sich auf diesen Weg macht, folgt den Spuren von Geheimprotestanten und Bibelschmugglern in eine Zeit, als es bei Strafe verboten war, eine Bibel zu besitzen. Das wertvolle Schmuggelgut war die deutsche Übersetzung durch Martin Luther vor knapp 500 Jahren. Das hatte es zuvor noch nicht gegeben. Viele Menschen lernten lesen und wurden Protestanten – sehr zum Missfallen der katholischen Obrigkeit.
An markanten Orten entlang der Schmuggelroute können Wanderer in die Geschichte des Protestantismus eintauchen. So kann man im Museum in Peuerbach die Bibeln in natura bewundern, ebenso die Schellen, die damals bei Gefahr geschlagen wurden, um einander zu warnen. Im Salzkammergut können noch heute Spuren von geheimen Treffen in Höhlen entdeckt werden. Geschichten erzählen von Bibelverstecken in Brunnen und Fässern. In der Ramsau steht ein Felsen im Wald, der als Predigtstuhl bekannt ist. Er war Treffpunkt für Gläubige, um Wanderpredigern zuzuhören. Ebenso die Hundskirche in Kärnten, ein mit Zeichen versehener Felsen in der Nähe des Weißensees. Auch hier schützten die Schellen, das „hamliche G’läut“ vor Entdeckung.
In Hallstatt kann man dem Pfarrer bei einer ganz anderen Form der Aufklärung zuhören: Er erklärt Besuchern aus China, was eine Kirche ist und dass es sich dabei nicht um ein Fastfood-Restaurant handelt, wie in der chinesischen Kopie des Weltkulturerbe-Ortes, die - samt See - seit 2012 in der Provinz Guangdong steht.
Der Weg des Buches umfasst 29 Tagesetappen mit fünf Tagen auf dem Rad und 24 Wandertagen auf bestehenden Wegenetzen. Man kann kürzere Abschnitte je nach eigener Kondition und Zeit zurücklegen. Eine einfach zu gehende, aber landschaftlich sehr reizvolle Strecke liegt am Weißensee. Sie beginnt in Techendorf und führt entlang des südlichen Seeufers hinauf zur Franz Josefs Höhe, von wo sich traumhaft schöne Ausblicke auf den See eröffnen. Die Landschaft rund um den Weißensee hat sich ihre Ursprünglichkeit bewahrt. Der sanfte Tourismus wurde hier schon in den 70er Jahren erkannt, sehr zum Vorteil der Region.
Sinnwandern: Auf stillen Wegen durch Italien
Sich ganz alleine auf den Weg zu machen braucht schon etwas Mut. Zwar ist der Preis dafür ist die absolute Stille, das Nicht-Hören und Nicht-Sprechen-Müssen über Tage hinweg und den eigenen Gedanken lauschen zu können. Aber bequemer und für Neo-Pilger einfacher sind geführte Weitwanderungen in kleinen Gruppen.
Wanderungen mit italienischem Flair durch ursprüngliche Regionen Italiens begleitet die Philosophin und Bergwanderführerin Klaudia Bestle. Für die Weitwanderreisen wählt sie bewusst Wege abseits der bekannten Routen, die weniger überlaufen, aber ebenso von historischer Bedeutung sind. Als Unterkünfte dienen regional verwurzelte Familienbetriebe, wo man nicht zu Fuß hinkommt, fährt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln hin.
Unterwegs zwischen Bologna und Florenz: Via degli Dei
„Ein sehr schöner Weitwanderweg ist der Via degli Dei, der Weg der Götter von Bologna nach Florenz“, erzählt Klaudia Bestle. „Er ist auch für alle geeignet, die das Weitwandern einmal kennen lernen wollen und nicht so geübt sind.“ Der klangvolle Name des Weges bezieht sich auf die nach den griechisch-römischen Gottheiten benannten Hügeln, Adonis, Venus und Juno.“ Diese phantasievolle Namensgebung entspringt nicht wissenschaftlicher Strenge, sondern eher einer Liebe zur Antike und der Begeisterung für diese geschichtsträchtige Landschaft. Spuren davon finden die Wanderer zum Beispiel in den gut erhaltenen Resten der Römerstraße Via Flaminia, einer Fernstraße, die der römische Konsul Gajus Flaminius 220 v. Chr. erbauen ließ.
Obwohl dieser Weg zwei Weltstädte in der Provinz Emilia-Romagna und in der Toskana verbindet, ist er auf weiten Strecken sehr einsam. Man wandert durch Eichen- und Kastanienwälder, die sich mit Hochweiden abwechseln, dann wieder säumen Pinien und Zypressen den Weg, eine wahrhaft göttliche Landschaft. „Für mich ist es ein ganz besonderes Erlebnis, wenn die Teilnehmer nach drei oder vier Tagen im Flow sind und das Gehen ganz leicht wird. Dann ist auch die letzte Etappe dieses Weges mit 24 Kilometern gut zu schaffen.“ Vielleicht liege es aber auch daran, dass auf den letzten vier Wanderstunden vor Ankunft in Fièsole bei Florenz schon die Kuppel des Domes zu sehen ist. Wichtig auf diesen geführten Touren ist eine Schweigeeinheit, die das zur Ruhekommen im stetigen Schritt verstärkt.
Jeder Weitwanderweg hat auch weniger schöne Abschnitte, wie die ausgedehnten Betriebsgebiete am Stadtrand. „Man muss nicht alles zu Fuß gehen“, sagt Bestle. „Für solche Strecken wähle ich öffentliche Verkehrsmitteln. Alleine schon aus Sicherheitsgründen, weil es entlang von stark befahrenen Stadteinfahrten keine Gehsteige gibt.“
Autorin: ANNEMARIE HERZOG
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zuletzt geändert am 20.02.2021