Ohne Auto mehr Abenteuer
„Und ihr seid wirklich ohne Auto da?“ fragt uns Christian Eder erstaunt. Obwohl es in seinem Biohotel Castello in Königsleiten für alle, die öffentlich anreisen, zehn Prozent Ermäßigung gibt, dürften wir einer besonders raren Spezies angehören.
Zugegeben, vor wenigen Jahren hätten wir uns auch nicht vorstellen können, ohne Auto in den Urlaub zu fahren. Es war einfach selbstverständlich. Und selbst wenn, so ist Königsleiten auf der Passhöhe der Gerlos-Alpenstraße auf 1.600 Meter Seehöhe nicht gerade das Ziel-Eins-Gebiet für eine öffentliche Anreise.
In der Zwischenzeit hat sich grundsätzlich etwas in unserer Einstellung zum Reisen geändert. Heute führt der erste Weg in den Urlaub auf die Website des Verkehrsverbundes „Von A nach B“ oder zur „Scotty-App“ der ÖBB. Gibt es ein akzeptables Angebot ist die Anreise rasch geklärt.
Von St. Pölten nach Königsleiten in 5 Stunden und 11 Minuten ist perfekt. Mit dem Auto wären wir laut Routenplaner – ohne Pause und ohne Stau – 4 Stunden und 28 Minuten unterwegs gewesen. Aber noch etwas hat sich geändert – bei uns im Kopf. Der Urlaub beginnt bei der Abfahrt zu Hause. Da geht es nicht mehr darum eine Stunde schneller oder langsamer zu sein. Diesen Stress erleben wir täglich in der Arbeit, den lassen wir lieber zuhause. Wir legen Wert auf eine entspannte Anreise. Und das gelingt perfekt im Zug: eine Zeitung lesen, am Handy chatten, ein Mittagessen oder einen Kaffee im Bordrestaurant genießen, statt voll auf den Verkehr konzentriert am Lenkrad zu kleben. Ja, und dann hat das Reisen mit den Öffis auch bisweilen etwas Abenteuerliches an sich, lernt man doch so einiges Ungewohntes kennen. Sonst könnte ich Ihnen die folgende Geschichte gar nicht erzählen.
Zeitreise durch die Eisenbahngeschichte
Zuerst rast der Railjet der ÖBB mit bis zu 230 Sachen in dreieinhalb Stunden von St. Pölten bis Jenbach. Dort steigen wir in die Zillertalbahn um. Der kurze Weg zum anderen Bahnsteig wird zur Zeitreise in die Eisenbahngeschichte. Die Schmalspurbahn mit einfacher Ausstattung und offenen, für Fahrgäste allerdings gesperrten Durchgängen zwischen den Waggons erinnern mich an meine Schulzeit. Als Kinder haben wir es geliebt, auf diesen offenen Plattformen mitzufahren. Heute unvorstellbar, wir haben es überlebt. Noch ein Hinweis: In diesem Zug gibt es auch kein WC. Also - falls nötig - noch den Railjet nutzen oder bis zum Bahnhof in Zell am Ziller durchhalten.
Von Zell am Ziller geht es dann mit dem Bus die Gerlos Alpenstraße hinauf. Wir sind insgesamt drei Fahrgäste in diesem riesigen Gefährt, das der Chauffeur gekonnt auf der teilweise sehr engen Straße durch die vielen Kurven manövriert. Draußen wimmelt es nur so von Motorrädern, die Porsche- und Cabrio-Dichte ist außergewöhnlich hoch. Die Touristiker bieten die Passstraße vom Tiroler Zillertal in den Salzburger Pinzgau als „Erlebnis im Herzen des Nationalparks Hohe Tauern“ an. Ein Freibrief für viele, die Bergluft zu verpesten. Fridays for Future ist weit weg. Von der Haltestelle in Königsleiten sind es dann nur mehr ein paar Schritte bis zum Hotel.
Mobil ohne eigenes Auto
Da wir nicht vorhaben, unseren Urlaub im Hotelzimmer zu verbringen, fragen wir gleich nach, wie wir ohne Auto mobil sein und etwas unternehmen können. In den Sommermonaten gibt es einen Wanderbus, den man mit der Gästekarte gratis benutzen kann. Mitte September war der leider bereits eingestellt. Da bestimmt wohl auch die Nachfrage das Angebot.
Eines der ganz großen Highlights in Königsleiten und Umgebung sind die Krimmler Wasserfälle, die wir uns nicht entgehen lassen wollen. Wie kommen wir da ohne Wanderbus hin? Für die 12-Kilometer-Strecke von Königsleiten zu den Wasserfällen prognostiziert der Routenplaner 21 Minuten mit dem Auto und 48 Minuten mit dem Fahrrad. Geht man den Wanderweg runter, marschiert man rund drei Stunden. Die vorgeschlagene öffentliche Verbindung außerhalb der Wanderbussaison dauert ganze fünf Stunden. Die Route: Königsleiten – Zell am Ziller – Jenbach – Wörgl – Kitzbühel – Mittersill – Krimml. Und heim kommst du am gleichen Tag nicht mehr, auch wenn du ohne Besuch der Wasserfälle gleich wieder zurückfahren wolltest. Interessantes Detail: Königsleiten und Krimml gehören beide zur Gemeinde Wald im Pinzgau. Man braucht anscheinend keinen öffentlichen Verkehr zwischen den Ortsteilen, weil ja eh alle mit dem Auto unterwegs sind.
Unsere Lösung: Wir leihen uns ein Elektroauto, das kostet 35 Euro für einen ganzen Tag. Passt, und ist gleich eine coole Gelegenheit, so ein Gefährt einmal auszuprobieren. Und weil wir gerade so umweltfreundlich unterwegs sind schauen wir nach dem Besuch der Wasserfälle noch im Biohotel Grubbachhof in Gerlos vorbei.
Apropos Gerlos. Auf der Tiroler Seite des Passes findet sich ein Musterbeispiel für die Ignoranz gegenüber dem Gast ohne Auto. An einem Urlaubstag führt unsere Tagestour über den Isskogel auf das Kreuzjoch und dann zurück und mit der Isskogelbahn runter nach Gerlos. Nach der anstrengenden Route kommen wir am Nachmittag mit müden Gliedern zur Bushaltestelle bei der Talstation. Der nächste Bus nach Königsleiten fährt in einer halben Stunde. Bei der Haltestelle gibt es weder eine Bank zum Sitzen noch irgendeine Form von Wetterschutz. Wir stellen uns hinter eine Werbetafel, die an diesem heißen Tag zum Glück schon einen tiefen Schatten wirft. Bei Wind und Regen wäre das hier wirklich nicht lustig.
Mit E-Bikes die Berge erschließen
Eine besonders coole Sache für mobile Menschen in Königsleiten sind die Elektro-Mountainbikes. 120 Stück davon hat die Gemeinde angeschafft, gefördert vom Klima- und Energiefonds im Rahmen des Projektes Modellregionen für Elektromobilität. Im Castello können sich Gäste die Räder kostenlos ausleihen, wenn sie direkt gebucht haben, sonst kostet es 15 Euro am Tag. Geladen werden die Akkus mit dem Strom aus der hauseigenen Photovoltaikanlage. Mit den Rädern kommt man auf Forststraßen zügig und ohne großen Kraftverschleiß relativ weit hinein in die Seitentäler. Von dort startet man dann noch ziemlich frisch die Wanderung rauf in die Berge.
Autofrei?
Bevor wir die öffentliche Heimreise antreten reden wir mit Christian Eder noch über seine Ideen für eine zukünftige Verkehrslösung. „Königsleiten hat 60 einheimische Bewohner und 6.000 Gästebetten“, erzählt er uns. „Davon sind nur 1.500 Betten in Hotels, der Rest sind private Ferienhäuser und Privatvermieter. Wenn alle Gäste im Winter mit dem Auto kommen herrscht im Ort akuter Platzmangel, weil ja auch die Fußgänger und der viele Schnee Platz brauchen.“ Das will man jetzt ändern. An der Ortseinfahrt wird gerade auf Initiative mehrerer Königsleitner Unternehmen ein Gemeindezentrum mit Parkgarage gebaut. Dort sollen die Autos abgefangen und die Gäste zu ihren Zimmern gebracht werden. „Vielleicht sogar mit einer Pferdekutsche“, zeichnet Eder ein romantisches Zukunftsbild eines autofreien Ortes.
Oder Sie lassen das Auto gleich zuhause. Sogar mit einer kompletten Schiausrüstung ist die Anreise mit den Öffis eine komfortable Sache, man braucht zusätzlich zum Rollkoffer nur eine Umhängtasche für die Schier und einen Rucksack für Schischuhe und Helm. Beides gibt’s im Sportgeschäft. Und wer das nicht schleppen möchte kann sich die Schiausrüstung ausleihen oder das Gepäck mit dem ÖBB Haus-Haus-Gepäck-Angebot liefern und abholen lassen.
Autor: Christian Brandstätter
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zuletzt geändert am 09.11.2021